2020 und ein paar Gedanken …
Im Dezember 2019 fotografierte ich ein Konzert von Felix Räuber im Dresdner Schlachthof. Während Felix, im Anschluss des Konzertes, noch mit Dirk Hilbert (Oberbürgermeister von Dresden) sinnierte, machte ich mich aus dem Staub. Der polnische Abgang quasi. Nicht so meins, die offiziellen Plauderrunden.
Ich wollte durch Dresden laufen …
Sprang dann aber doch in das, durch mein Handzeichen haltende, Taxi. Es war kalt. Anfang Dezember eben. Der Taxifahrer war gut drauf. So konnte ich in Sachen „Gute Laune“, die wir Backstage hatten, direkt im Taxi weiter machen. Er war ein Wiener der, der Liebe wegen, nach Dresden gezogen war. Ich mag Wien. Allein der Dialekt des Fahrers ließ mich kurz und in Gedanken in der zur „lebenswertesten Stadt der Welt“ ernannten Metropole sein. Mitten in Dresden. Zum ersten Advent.
Es war schon etwas später und ich hatte Hunger.
Genau weiß ich es heute nicht mehr. Aber es war sicher gegen 22 Uhr. Alternativen hätte es bestimmt noch gegeben, dennoch habe ich mich bei MC Donalds am Dresdner Altmarkt absetzen lassen. Ja ja, so spät soll man nicht mehr essen und gesund ist Fastfood ja auch nicht.
Es war der erste Advent. Es war spät. Ich war bestens gelaunt und der Camper wartete (vorgeheizt) zwei Kilometer weiter. MC Donalds hatte geöffnet und lag quasi am Weg, also genau mein Kompromiss für eben diesen Sonntagabend.
Ich bestellte.
„Ein Sechser süß/sauer, einen Hamburger und eine Cola.“ Nein, kein Menü. Keine weiteren Wünsche. Kein Schischi, keine Wartezeit. Ich setzte mich an das riesige Fenster, wollte noch etwas vom Dresdner Nachtleben sehen. Ok, viel passierte da nicht mehr – zwei/drei Strassenbahnen, ein Dutzend Autos und eine Hand voll Fussgänger. Das Glitzern des Adventsschmucks, die Frauenkirche in unmittelbarer Nähe, der Neumarkt mit Touristen. So komplettierte ich, in Gedanken, das nächtliche Treiben.
Im Augenwinkel.
Im Augenwinkel sah ich eine ältere Lady sitzen. Sie saß im Eingangsbereich, keine vier Meter weiter. Graues, gepflegtes Haar. Gesteppter, brauner Mantel. Die Beine elegant angewinkelt und mit einer Decke bedeckt. Die Hände zusammen gefalten, auf eben dieser Decke liegend. Nichts auf dem Tisch.
Ich musste immer mal zu ihr rüber schauen. Instinktiv? Der Neugierde wegen? Ich weiß es nicht. Ich musste einfach. So wie ich nach ihr sah, als ich meine leeren Sachen zurück brachte.
Sie stöhnte leise.
„Geht es Ihnen gut?“ fragte ich. „Ach naja …“ sagte sie. Ich setzte mich zu ihr. Gesundheitlich ging es ihr gut. Relativ schnell wusste ich, dass sie obdachlos sei. Sie hatte die Bombardierung Dresdens, während des zweiten Weltkrieges, vielleicht deswegen überlebt, weil sie mit dem Zug zur Verwandtschaft in Arnsdorf fuhren. Zurück mussten sie, durch das völlig zerstörte Dresden, laufen. Züge fuhren keine mehr. Das Haus der Eltern lag glücklicherweise am, nicht betroffenen, Rande der Stadt. Stadtauswärts, Richtung Heidenau.
Heute lebt sie allein. Leider ohne Kontakt zu Ihren Kindern, der Mann war gestorben (so meine Erinnerung). Wann immer es ihr möglich sei, interessiert sie sich für Kultur. Konzerte, Bücher, die Geschichte … Sie war wesentlich intellektueller, wie ich es für mich behaupten kann.
So lehnte sie es auch vehement ab, sich von mir zum Essen einladen zu lassen. Ich widersprach, lud sie also doch zum Abendbrot (eben bei MC Donalds) ein und steckte ihr meinen letzten Fünfer, den ich in bar bei mir hatte, zu.
Ich fand sie leider nicht mehr.
Die Geschichte ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Eine obdachlose Frau in Dresden. Im Jahr 2020. Sie hat den Krieg überlebt, hat Kinder bekommen, die DDR „überstanden“ um sich schließlich als Obdachlose im MC Donalds aufzuwärmen.
Irgendwie beschämten mich diese Gedanken. Ja, ich hatte sie gefragt, ob ich etwas für sie tun konnte, was sie natürlich verneinte. Sie hatte sich wohl mit Ihrer Situation, na nennen wir es mal, arrangiert. Sie hatte sich eingerichtet.
Um sie wiedersehen zu können, war ich ein paar Tage später, auch eine Woche später und noch weitere Male – immer ungefähr zur selben Zeit – bei MC Donalds. Um nach ihr zu schauen. Leider ohne sie nochmals aufzufinden …
Und ohne zu missionieren.
Ihr kennt mich … Jeder tut genau das, was er kann. Und immer dann, wenn er mag. Momentan drehen sich viele Gedanken um die Pandemie. Das Leben auf der Strasse gleicht einer Sparflamme. Öffentliche Einrichtungen/Toiletten sind weitestgehend geschlossen. Aufwärmen bei MC Donalds ist gerade auch nicht drin. Kontakte sind auf das Wesentliche beschränkt.
Mit diesen Gedanken verabschiede ich mich, für 2020, von euch.
Auf ein, hoffentlich gesundes Wiedersehen.
René
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